Predigt über Maria und Pilatus in Text des Glaubensbekenntnisses

am 6. April 2025 in St. Lukas und Großmehring

Rudolf Potengowski

 

Liebe Gemeinde, liebe Schwestern und Brüder! Sonntag für Sonntag wird in den Kirchen das Glaubensbekenntnis gesprochen. So haben wir es soeben auch getan. So geschieht es vielmillionenfach in allen Ländern und Sprachen der Erde. So erklingt es bei der Taufe, der Konfirmation oder am Grab. Und jedes Mal werden dabei auch zwei Namen genannt, wie sie gegensätzlicher nicht sein könnten: Maria und Pilatus.

 

 „Ich glaube an Jesus Christus, … geboren von der Jungfrau Maria,

 gelitten unter Pontius Pilatus …“

 

Beide in ganz unmittelbarer Nachbarschaft. Warum wohl? Und warum gerade diese beiden? Nicht Petrus oder Johannes, nicht Lukas und auch nicht Judas, und Paulus oder Martin Luther natürlich auch nicht. Nur Maria und Pilatus. Gut, bei Maria können wir es noch verstehen, sie ist ja schließlich auch Jesu Mutter. Aber ausgerechnet Pilatus, Pontius Pilatus, der nur eine kurze, aber schlimme, folgenreiche Begegnung mit Jesus hatte? Und welche Bedeutung haben diese beiden für uns, heute und hier? Haben sie überhaupt eine Bedeutung für uns? Dazu eine dreifache Antwort:

 

1. Der Glaube hat es mit Geschichte zu tun. Jesus ist keine Gestalt eines Fantasy-Romans. Das Reich der ewigen Ideen und mythischen Erzählungen ist nicht sein Zuhause. In der konkreten und harten, zuweilen sehr harten Realität dieser Welt ist er anzutreffen. „gelitten unter Pontius Pilatus“ – Das Imperium Romanum mit seinem Glanz und seinem Elend ist der Ort seines Wirkens und Leidens. Dort, wo Kaiser Tiberius fast die ganze damals bekannte Welt beherrschte, – die Spuren seiner Militärlager und Siedlungen sind heute noch bei uns zu finden –, wo seine Soldaten immer wieder neu in brutale Kriege und Aufstände verwickelt waren, wo eine Vielzahl von Philosophien und Religionen existierten, da wurde Jesus geboren, lebte er, hat gelitten, starb und ist auferstanden. So kam es denn auch zur Begegnung mit Pontius Pilatus, dem Statthalter der Provinz Judäa in den Jahren 26 bis 36, jenem, der gleichsam das ganze römische Reich in seiner eigenen Person verkörperte. Und er war nicht gerade zimperlich, wenn es galt zu zeigen, wer das Sagen hatte. Da ist der Ort, an dem sich Gott in Jesus Christus antreffen lässt.

 

Auch heute will uns der Glaube nicht entführen in ein Wolkenkuckucksheim, fern aller irdischen Wirklichkeit mit ihren Sorgen und Nöten. Im Alltag, in den täglichen Nachrichten aus aller Welt und den Ereignissen unserer unmittelbaren Umgebung ist Gott da, als der ganz andere und doch mitten drin. Da will er uns begegnen. Und da ist auch unser Platz als seine Gemeinde, mitten in dieser Welt. Da sind wir gefordert, Zeugen seiner Wahrheit zu sein, Boten seiner Liebe und Menschen, die ihm nachfolgen, auch im Leiden. Dietrich Bonhoeffer, dessen 80. Todestag sich am kommenden Mittwoch jährt, ist ein eindrucksvolles Beispiel für einen solchen weltzugewandten Glauben in der Nachfolge Jesu. 1934 sagte er z.B. anlässlich einer ökumenischen Tagung: „Friede muss gewagt werden. Die Stunde eilt – die Welt starrt in Waffen und furchtbar starrt das Misstrauen aus allen Augen, die Kriegsfanfare kann morgen geblasen werden - worauf warten wir noch?“ Und nach der Reichsprogromnacht 1938 forderte er: „Nur wer für die Juden schreit, darf auch gregorianisch singen.“ Das war ein Glaube, der sich den Herausforderungen seiner Zeit stellte, bis zur letzten Konsequenz. „gelitten unter Pontius Pilatus.“  

 

 Und Maria? Die Historiker berichten nichts von ihr. Ihr persönliches Geschick war uninteressant für die Machthaber jener Tage. so wie es auch den meisten Menschen heute ergeht. Und dennoch: auch ihr Leben, auch unser Leben ist reich an Geschichten, Erlebnissen, Erfahrungen. „geboren von der Jungfrau Maria“ – Ein Kind gebären, großziehen, Hoffnungen, Enttäuschungen, am Grab stehen – ganz reale Geschichten des Alltags. Und zugleich sind sie Geschichten mit Jesus. Auch für uns und die vielen Namenlosen dieser Tage gilt: Jesus ist mitten drin, er will sich hier bei uns finden lassen. Glaube hat es immer mit Geschichte, auch mit unserer Lebensgeschichte zu tun.

 

2. Der Glaube hat es mit Menschen zu tun. Maria und Pilatus – was für ein Gegensatz! Hier eine junge Frau, fast noch ein Mädchen, wird schwanger und bringt ihr erstes Kind zur Welt, – und dort ein Mann im Zenit seiner Jahre, erfolgreich auf dem Weg seiner Karriere zur Macht, bekannt, gefürchtet, ein Richter über Leben und Tod. Hier eine Jüdin, Angehörige eines verachteten, oft verfolgten Volkes, – und dort der stolze Römer, schon von Geburt an zum Herrschen berufen und in den höchsten Gesellschaftsschichten zuhause. Hier Maria, in dem Glauben ihrer Väter und Mütter und in den Überlieferungen des Volkes Israel beheimatet, – und dort Pilatus, geprägt von den Traditionen der römischen Geschichte, des Geisteslebens und der Rechtsnormen. Was für ein Gegensatz! In diesen beiden repräsentiert sich die ganze Menschheit in ihrer Vielfalt und Gegensätzen. Aber eines eint sie: Sie sind Menschen, von Gott geschaffen, mit Sehnsucht nach Glück und Liebe, voll Hoffnungen und Ängsten, haben gute Seiten und machen Fehler, erfreuen sich an Erfolgen und erleiden Niederlagen. Wir alle sind Menschen. Und als solche begegnen wir Jesus, wie damals Maria und Pilatus. Er fragt nicht: Zu welcher Gruppe gehörst du? Was sind deine Traditionen? Welchen Stand oder Beruf hast du? Ihn interessiert nur der Mensch, nur der Mensch.

 

Ecce homo! Sehet, welch ein Mensch! sprach Pilatus, als Jesus vor ihm stand, geschlagen, verhöhnt, in der ganzen Erbärmlichkeit eines Opfers brutaler Gewalt. War etwa Pilatus von Jesus beeindruckt? Oder drückte er damit nur seine Verachtung aus? Wir wissen es nicht. Aber wir erkennen:  Bis in die letzten Tiefen hinein ging Jesus in seiner Menschwerdung, ein Bruder für alle, die gleich ihm misshandelt, entehrt und ihrer Menschenwürde beraubt werden. Da ist er! Sehet, welch ein Mensch! Und zugleich wird dieser Satz zur Anfrage an Pilatus und an uns alle: Was für ein Mensch bist du? Ein Mensch und Mitmensch für andere?

 

3. Der Glaube hat es mit dir und mir zu tun. Gedankenlos sollten wir eigentlich nicht sprechen: „… geboren von der Jungfrau Maria, gelitten unter Pontius Pilatus …“ Denn in diesen Worten steckt eine ganz persönliche Frage, die Antwort von uns fordert: Wer ist dieser Jesus für dich?

 

Etwa so wie bei Maria, deren Leben untrennbar mit Jesus verbunden war? Jemand, in der der Gottessohn Wohnung nehmen konnte, und die dabei doch ein Mensch blieb, mit allen Schwächen, Zweifeln und Missverständnissen? Eine, die in ihrer Hingabe an Gott großes Glück und Freude erfuhr, aber die auch durch großes Leid hindurchmusste? Es lohnt sich, sich auch als Evangelische mehr mit Maria zu beschäftigen – schon allein ihre Erwähnung im Glaubensbekenntnis sollte uns dazu veranlassen. Sie ist nicht die Überirdische, Gottgleiche. Sie ist eine Schwester im Glauben und ebenso uns auch nahe in allen Anfechtungen. Gleichsam auf Augenhöhe können wir ihr begegnen, in ihrem Geschick uns wiederfinden und mit ihr zusammen mit Jesus verbunden sein.

 

Oder ist uns Pilatus näher? Verantwortlich für Recht und Ordnung, eingebunden in Pflichten und Rücksichtsnahmen, stets abhängig vom Wohlwollen des Vorgesetzten, des Kaisers in Rom. Vielleicht war er angerührt von dem so sonderbar Anderem, der so gar nicht in die Kategorien seines Lebens passte. „Was ist Wahrheit?“ Er konnte sich nicht eindeutig festlegen, wollte auch nicht, suchte nach Kompromissen, wusch sich dann die Hände: Ich bin nicht schuld! Er kommt uns doch in vielen Dingen so bekannt vor; wir sollten ihn nicht verurteilen. Das steht allein Gott zu. Seltsam nur, dass die äthiopisch-orthodoxe Kirche ihn sogar in ihrem Heilgenkalender auflistet. Will sie damit sagen, dass die Begegnung mit Jesus auch für ihn Folgen hatte, wie auch immer, und dass dadurch auch er seinen Platz hat im Plan Gottes mit den Menschen?

 

Wem gleichen wir mehr? Maria oder Pilatus, oder beiden? Mal so, mal so, oder ganz anders? Entscheidend ist, dass dieser Jesus uns begegnen will, wenn wir das Glaubensbekenntnis sprechen, und so fragt er uns: Wer bin ich, für dich? Können wir, wollen wir antworten mit Martins Luthers Auslegung im Kleinen Katechismus: „Ich glaube, dass Jesus Christus, vom Vater in Ewigkeit geboren und von der Jungfrau Maria geboren, sei mein Herr“? Ja, mein Herr! Amen.